Titel: Nora. Ein Puppenheim
Autor: Henrik Ibsen
Verlag: u.a. Reclam
Preis: 0,00€ kindle Version
Seiten: ca. 100
Jedes Stück, das man sich auf der Bühne ansieht, ist eine Interpretation des Stoffes. Diese These ist schwer zu wiederlegen, denn jeder Regisseur interpretiert den Text schon allein durch Kostüme und Bühnenbild, genauso wie jeder Schauspieler allein durch Lautstärke und Artikulation seine Rolle interpretiert. Um ins Theater zu gehen, muss man das Stück nicht kennen. Es sei denn, die Inszenierung ist so abgedreht, dass man sie ohne das Original nicht kennt.
Lange Vorrede: Im Rahmen eines Seminars wird mein Kurs sich das Stück „Nora.
Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen ansehen. Und weil wir mit einer abgedrehten
Inszenierung rechnen, mussten wir uns den Text zu Gemüte führen. „LANGWEILIG!“,
habe ich gedacht. Aber okay, ein Drama kann man sich schnell durchlesen.
Anfangs wurde meine Meinung mehr als bestätigt, aber was sich Herr Ibsen
besonders zum Ende hin hat einfallen lassen, ließ mich tief beeindruckt zurück.
Inhalt
Nora ist lebensfroh und naiv. Die junge dreifache Mutter singt
und tanzt den ganzen Tag und macht ihrem Ehemann, der in nächster Zeit
Bankdirektor wird, eine große Freude damit. Um nichts als die schönen Dinge im
Leben scheint sich das Frauenzimmer Sorgen zu machen und die ernsten Angelegenheiten
überlässt sie der Männerwelt. Doch sie gerät in eine missliche Lage. Vor ein
paar Jahren handelte sie nicht ganz rechtens, um ihren Mann zu retten. Sie lieh
sich eine große Summe Geld und muss diese nun zurückzahlen. Doch das kann sie
nicht und es kommt noch schlimmer. Vom gesellschaftlichen Ausschluss bedroht,
verstrickt sie sich in die Machenschaften des gedemütigten Krogstadt und steht
so vor einer schweren Entscheidung, die ihr Leben und das ihrer Familie für
immer verändern wird.
Meinung
Bei „Nora. Ein Puppenheim“ handelt es sich um ein dreiaktiges
Drama aus dem Jahr 1879. Henrik Ibsen war mir kein Unbekannter, da ich bereits
im Abitur ein anderes Stück von ihm lesen musste. Schon damals wurden wir
darauf aufmerksam gemacht, dass „Nora“ das weitaus berühmtere Stück ist. Dies
konnte ich zu Anfang überhaupt nicht verstehen. Wir haben es hier mit ein
relativ klassischen Drama zu tun. Es gibt eine Einheit von Ort, Handlung und
Zeit, was deutlich macht, dass es für die Bühne konzipiert wurde. Es gibt eine überschaubare
Menge an Charakteren. Im Mittelpunkt steht die naive Nora. Sie geht dem Leser
mehr als nur auf die Nerven. Sie ist ein Nichtsnutz und von relativ simpler
Natur. Man traut ihr nicht einen ernsten Gedanken zu. Sie ist vernarrt in ihre
Kinder und spielt einfach sehr gern. Ihr Ehemann Torvald liebt sie sehr. Nora
ist der Sonnenschein seines Lebens und er empfindet wahre Freude an ihr. Die
Kinder der beiden spielen keine große Rolle, ebenso wenig wie die Haus- und
Kindermädchen. Der Doktor Rank hat eine Nebenrolle und Herr Krogstadt und Frau Linde
sind noch von Bedeutung. Nora steht in Krogstadts Schuld, weshalb genau, ist
hier nicht von Bedeutung. Er scheint ein fieser und verbitterter Charakter zu
sein. Frau Linde ist Noras Freundin aus alten Tagen. Sie scheint charakterstark
und tüchtig. Somit entwickelt sich ein relativ gegensätzliches Bild an Figuren.
Zur genauen Konstellation muss nicht viel gesagt werden, da es ansonsten die
Handlung stark verrät.
Der erste und zweite Akt bauen die Katastrophe auf und sind somit relativ
langatmig. Ich hatte ein völlig anderes Ende erwartet, wie ich gestehen muss.
Während ich die ersten zwei Drittel des Buches nur wiederwillig las, konnte
mich der dritte Akt regelrecht packen. Nora „entpuppt“ sich als etwas völlig anderes,
als jeder erwartet hat. Der Untertitel „Ein Puppenheim“ wird endlich deutlich
und Ibsen gibt dem Leser mit dem dritten Akt mehr als nur eine Interpretationshilfe
des Vorangegangenen. Ich war wirklich einfach nur beeindruckt. Ich persönlich
rechnete mit dem Selbstmord von Nora, was einfach zu vorhersehbar gewesen wäre.
Was diese Frau aber tut, ist für die damalige Zeit einfach undenkbar und ein
wahrer Akt der Emanzipation. Das ganze Stück über habe ich Nora verabscheut und
verurteilt und erst in den letzten Szenen hat sie sich meinen Respekt mehr als
verdient. Ich kam aus dem Markieren von Zitaten gar nicht mehr heraus. Doch
diese müsste man im Zusammenhang lesen, um genauso beeindruckt zu sein, wie
ich. Ich werde mich noch ein bisschen damit beschäftigen müssen, wie Ibsen zu
solch einer Idee im ausgehenden 19. Jahrhundert kam und auch wie das Publikum
reagierte. Ich empfinde es als sehr mutig, wenn auch grausam auf einer anderen
Ebene. Sprachlich ist das Stück übrigens okay. Es lässt sich fließend lesen,
ist aber nun einmal ein Drama. Das heißt man muss mit Nebenbtext und einem
anderen Stil rechnen. Vor allem am Ende haut Ibsen aber ein Glanzzitat nach dem
nächsten raus.
Fazit
Alles in allem hat mich „Nora. Ein Puppenheim“ mehr als
überrascht. Ibsen hat hier seine ganze Kunstfertigkeit unter Beweis gestellt,
indem er das Stück so enden lässt. Der Titel gefällt mir für dieses Drama
wahnsinnig gut und ich muss sagen, dass es wirklich lesenswert ist. Es ist ein
früher Akt der Emanzipation, der auch sprachlich glänzen kann. Ich hätte selbst
nicht damit gerechnet, doch ich vergebe gerne 4 Spitzenschuhe.
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